Schwund zu stoppen?

Partei hat ausgetretene Genossen befragt: Sie empfanden „diffuses Entfremdungsgefühl“.
Die heimischen Sozialdemokraten wollen den Mitgliederschwund stoppen. Noch verliert der SPD-Kreisverband Siegen-Wittgenstein mit seinen 51 Ortsverbänden – Ende 2010 hatte er rund 2000 Mitglieder – Jahr für Jahr etliche Genossen. Mal mehr, mal weniger. Das soll sich ändern.
Die Partei hat ein wissenschaftliches Projekt gestartet, zwei Befragungsrunden wurden und werden noch durchgeführt, deren Ergebnisse die Grundlage für „eine mehrjährige Mitglieder-Werbe-Kampagne“ bilden sollen, wie Willi Brase (MdB) beim gestrigen außerordentlichen Unterbezirksparteitag der Sozialdemokraten in der Weidenauer Bismarckhalle erklärte.

„Wir müssen zuerst wissen, was zu tun ist, und dann müssen wir es auch tun“, so der Unterbezirks-Vorsitzende am Rande des Parteitages im SZ-Gespräch, in dem er betonte, dass nicht „Panik oder Frust zu schieben“ seien, sondern gründliche Arbeit gefragt sei. Die lieferte Prof. Dr. Nicolai Dose von der Universität Duisburg mit seinem Abschlussbericht zum Auftrags-Forschungsprojekt ab. Doses Fragen: Wie lässt sich die lokale Mitgliederentwicklung zwischen Burbach und Bad Laasphe erklären? Was sind die Gründe für den Mitgliederschwund – und vor allem: Wie lauten die Gründe für Parteiaustritte? Denn, so die Zusammenfassung der Antworten von Prof. Dose und dessen Team, der Schwund hat zwei Hauptgründe, mit denen beinahe alle Parteien Deutschlands – die Grünen bilden mit ihren enorm hohen Zuspruchsquoten derzeit eine Ausnahme – zu kämpfen haben: Es gibt immer weniger Genossen, weil die SPD-Mitglieder versterben oder austreten.

Zwar kann die Partei auf hiesiger Ortsverbands- und Kreisverbandsebene noch die Austritte durch Eintritte kompensieren, doch die Überalterung der Bevölkerung im Allgemeinen und der Partei im Besonderen und damit die Todesfälle können nicht ausgeglichen werden. Für Wissenschaftler Dose und den Vorstand des SPD-Unterbezirks lag es natürlich nahe, sich mit der Mitgliederfluktuation zu beschäftigen. Die 300 Parteiaustritte der Jahre 2000 bis 2010 wurden untersucht, Dose führte Interviews durch, dann folgte die erste Befragungsrunde unter den ausgetretenen Mitgliedern. Sie lieferten dem Ruhrgebiets-Wissenschaftler die Austrittsgründe. Sie sind formaler und inhaltlicher Natur.

63 Prozent der Befragten kritisierten vor allem mit Blick auf die Bundespolitik die mangelnde Kontinuität in der Parteiführung, „sie wollen nicht immer wieder neue Köpfe sehen“, so Nicolai Dose zu den 106 Delegierten in der Bismarckhalle. Ähnlich viele ausgetretene Mitglieder prangerten auch die „zu starke Machtorientierung“ der Parteispitze an. Inhaltlich scheint die Überstimmung von ehemaligen Genossen an der Parteibasis und der SPD-Führung in vielen Punkten weit auseinander zu sein: 32 Prozent der Befragten kritisierten allgemein die Agenda 2010, 55 Prozent die Rente mit 67 und über die Hälfte von ihnen vermisste die Durchsetzung eines Mindestlohns. Dose: „Es gibt da ein diffuses Entfremdungsgefühl und die Mehrheit der Ausgetretenen möchte sich nicht einen Politikwechsel der SPD von oben überstülpen lassen!“

Womit er das Thema Mitbestimmung in den sozialdemokratischen Reihen auf lokaler Ebene ansprach. 69 Prozent der Befragten sagten, dass allgemein die Mitbestimmung auf Ortsverbandsebene funktioniere, aber dass sie oberhalb dieser Ebene von der Mitbestimmung ausgeschlossen worden seien. Und: Knapp ein Viertel der Befragten gab an, dass es auf Ortsverbandsebene Unstimmigkeiten gegeben habe, 8 Prozent bemängelten, dass sie bei Personalentscheidungen außen vor geblieben seien (Anm. d. Red.: Mehrfachnennungen waren möglich).
Die weiteren Erkenntnisse aus der ersten Befragungsrunde, der bereits in diesem Monat, spätestens im Dezember, eine zweite folgen soll, bei der alle (!) SPD-Mitglieder nach der Arbeit ihrer Partei befragt werden sollen: Aktive Mitglieder treten weniger häufig aus, „bei ihnen ist die Frustrationstoleranz deutliche höher“, so Prof. Dr. Nicolai Dose. Und: Kleine Ortsverbände verlieren in der Regel überproportional Mitglieder. „Das hätte ich nicht erwartet, bietet ein kleiner Verband doch wesentlich mehr Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten“, sagte Dose.

Er gab den Genossen in der Bismarckhalle gestern Abend gleich „erste Hand¬lungsempfehlungen“ an die Hand. Man solle die „innerparteiliche Demokratie sehr ernst“ nehmen. Es gelte, alle Mitglieder aktiv in die Parteiarbeit miteinzubeziehen, die verantwortlichen Funktionäre müssten ferner entsprechend geschult werden, um das Konfliktmanagement, das Umzugsmanagement und das Rückholmanagement zu lernen. Dose mit Bezug auf die Mitgliederbetreuung: „Professionalisierung ist angesagt!“

-Siegener Zeitung-