
Idee: Hartz-IV-Empfänger könnten für einen Mindestlohn unterstützende Tätigkeiten in der Pflege übernehmen.
Was hat das Jahr 2011 gebracht? Erstens sehr gute Daten vom Arbeitsmarkt, sagt Willi Brase, SPD-Abgeordneter in Berlin. 5,8 Prozent Arbeitslose in Siegen-Wittgenstein, 4,8 Prozent im Gesamtbezirk mit Olpe, sogar nur 4,0 Prozent in Wittgenstein. Zweitens: Aber es gibt zu viele Langzeitarbeitslose. 32 bis 39 Prozent im Schnitt der Jahre, aktuell 36,9 Prozent, in Wittgenstein sogar 40 Prozent. Da muss sich einiges ändern. 2900 allein in Siegen-Wittgenstein, darunter 400 in Wittgenstein. Die Verfestigung auf Hartz-IV-Niveau will Brase nicht einfach so hinnehmen, wie er gestern betonte. Zumal das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt gerade diese Menschen ausgrenze. Die Gelder würden konzentriert auf Leute, die Chancen auf einen Job am ersten Arbeitsmarkt hätten.
Gegenmittel gefällig? Brase denkt an ein Pilotprojekt in Siegen-Wittgenstein, um den lange arbeitslosen Personen zu helfen. Erste Kontakte mit der Diakonie, den Kirchen, der KAB und dem DGB hat es gegeben, im Januar folgt ein Gespräch mit NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider. Das passiv gezahlte Hartz-IV-Geld muss man umwandeln in Aktiva. Diese Menschen sollen Tätigkeiten für das Gemeinwohl versehen. Es ist falsch, die Hartz-IV- Empfänger nur zu alimentieren, wir müssen alles umdrehen.
Unterstützende Tätigkeiten in der Pflege könnte sich Brase an der Stelle gut vorstellen, etwa Hol- und Bringdienste sowie sonstige Hilfsarbeiten für Demenzkranke. Oder auch die Betreuung von Spielplätzen. Da kämen die Kommunen ins Spiel. Solche Jobs dürften aber nicht deren Stellenpläne tangieren. 8,50 Euro Mindestlohn stellt sich Brase vor. Das würde diesen in Beschäftigung zurückkehrenden Menschen wieder eine Wertigkeit geben. Und sie müssten nicht länger beim Jobcenter alles vorzeigen bis zur letzten Unterhose. Das Signal lautet: Wir wollen deine Arbeitskraft nutzen für die Gesellschaft.
Die umzuwandelnden Hartz-IV-Gelder sollten auf keinen Fall dazu dienen, Dauerjobs abzubauen. In dem Kontext erinnerte Brase an die Milchhof-Initiative 1989. Zehn von Arbeitslosigkeit betroffene Personen hätten angestrichen und tapeziert oder andere leichte Handwerkstätigkeiten gegen Entgelt versehen. Brase: Ich hab‘ die damals auch beschäftigt. Was passierte? Das Handwerk hat Rabatz gemacht, sah die eigenen Betriebe in Gefahr. Und die Nummer war gestorben.
Brases zweiter Themenkomplex gestern: prekäre Arbeitsplätze, sprich Mini-Jobber auf 400-Euro-Basis. 24 000 davon gibt es seinen Worten zufolge in Siegen-Wittgenstein, 11 000 hätten einen Zweitjob. In den 70er Jahren sei der Mini-Job eingeführt worden, um Frauen bei Auftragsspitzen in die Produktion einzubinden. Dieses Instrument werde lange schon missbraucht. Brase: Nirgends in Europa gibt es Jobs mit einer Lohnobergrenze. Zwischen 1999 und 2003 hätten Arbeitgeber wenigstens noch eine Steuer darauf zahlen müssen, aber die Herren Clement und Merz haben das ja über den Bundesrat gestoppt, blickte der Abgeordnete leicht brummig zurück. Sieben Millionen Mini-Jobber im Bund, 35 000 in Siegen-Wittgenstein, das müssen wir begrenzen. Ohnehin sei Deutschland bei den Löhnen in der EU inzwischen auf einem der letzten Plätze gelandet. Equal pay sei ganz wichtig, dem Prinzip des gleichen Lohnes für gleiche Arbeit müsse mehr Rechnung getragen werden.
Brases Themenrück- und -vorblick hatte gestern noch mehr zu bieten. Zum Beispiel Straße und Schiene. Die Kreuztaler Südumgehung sieht er in greifbare Nähe gerückt, in einem halben Jahr seien die Eingaben bearbeitet, danach müsse politisch entschieden werden. Auch einen Bürgerentscheid könnte sich der Littfelder gut vorstellen. Der Verkehr in Kreuztal ist grausam, da muss sich etwas tun. Wer morgens dadurch muss, verliert 20 Minuten. Mit dem Bau der Südumgehung sei der erste Schritt für die Route 57 getan. 14 100 Unterstützer gebe es aktuell. Das Projekt werde keinesfalls aufs Abstellgleis geschoben, es gehöre auf die Prioritätenliste.
Apropos Schiene: 1 Mrd. Euro mehr gebe es für Maßnahmen in NRW. Immer noch viel zu wenig, sagt Brase. Das kann es nicht sein, wir sind Transitland. Und wir wollen selbst Container auf die Schiene bringen in Kreuztal. Negativ der Seitenhieb auf das Berliner Verkehrsministerium: Minister Ramsauer schiebt zu viel Geld nach Bayern. Alles nur, weil er zweiter Vorsitzender in der CSU werden wollte.
-Siegener Zeitung; gleichlautend in Westfalenpost und Westfälischer Rundschau-