Hannelore Kraft im Berufskolleg für Technik

Siegen. Bei ihrem Besuch im Berufskolleg für Technik in Siegen erklärte die NRW-Landeschefin, wie sie mehr Jugendliche in Arbeit bringen möchte. Ihr Plan: Kinder müssen bereits früh mit dem Berufsleben in Kontakt kommen.

Als Hannelore Kraft im vergangenen Jahr wahlkämpfend durch Nordrhein-Westfalen zog, versicherte sie, dass unter ihrer Regierung kein Kind zurückgelassen werde. Dass auch Jugendliche einen Platz auf dem politischen Radar der NRW- Landesmutter haben, bekräftigte sie nun ein halbes Jahr später im Siegener Berufskolleg für Technik.
Dort traf sie mit den hiesigen Akteuren des neuen Projekts der Landesregierung „Kein Abschluss ohne Anschluss“ zusammen. Unter diesem Motto führt Nordrhein-Westfalen ein neues, landesweit verbindliches Übergangssystem für Jugendliche ins Berufsleben ein. Das Ziel: Schülerinnen und Schüler sollen frühzeitig bei der Berufsorientierung, der Berufswahl und beim Eintritt in eine Ausbildung Unterstützung finden.

20 Prozent in Warteschleife
Und da der Kreis Siegen-Wittgenstein eine von sieben Kommunen ist, in denen das Projekt als Pilot bereits im Herbst 2011 an den Start ging, konferierte Kraft gestern mit den vor Ort tätigen Partnern über die Umsetzung. Mit an Bord: Vertreter von Schulen, die Arbeitsagentur, die lokale Politik sowie Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter. Eine Allianz zum Kampf gegen den viel beschworenen Fachkräftemangel im Lichte eines sich zunehmend verändernden Arbeitsmarktes. Denn: Die Kluft zwischen Jung und Alt wird immer größer. Bis 2020 wird es 25 Prozent weniger Schulabgänger geben als heutzutage – die Wirtschaft bekommt ein Nachwuchsproblem. Gleichzeitig erhalten rund 20 Prozent eines jeden Geburtsjahrgangs heute bereits entweder keinen Schulabschluss oder aber finden keine Ausbildung.

Sie kommen in die „Warteschleife“, wie Kraft es ausdrückt, werden weiter „beschult“ oder in Fördermaßnahmen gesteckt. Dies kostet den Staat und somit die Gesellschaft viel Geld und hilft den Jugendlichen nicht weiter. Potenziale gehen verloren. „Die driften uns weg“, sagte Kraft.

Kommunen als Vermittler
Das Projekt „Kein Abschluss ohne Anschluss“ möchte hier ansetzen – präventiv. Die Jugendlichen sollen früher als bisher mit der Berufswelt in Kontakt kommen. Künftig stehen bereits in der achten Klasse drei Schnupperpraktika auf dem Programm. Eine umfangreiche Potenzialanalyse soll außerdem helfen, den Schülerinnen und Schülern ihre Talente und Interessen aufzuschlüsseln. Am Ende der Analyse steht eine Empfehlung, für welches Berufsfeld sie jeweils geeignet sind.

Vor Schulende wird den Jugendlichen außerdem eine konkrete persönliche Anschlussvereinbarung gegeben. In der 10. Klasse erhalten die ausbildungsreifen Schülerinnen und Schüler ein Ausbildungsangebot, vorrangig für Betriebe, ansonsten für Berufskollegs oder – in besonderen Fällen – bei anerkannten Bildungsträgern. Ergo: Bereits bestehende Elemente der schulischen Berufsorientierung sollen ausgebaut und optimiert werden. Gänzlich neu jedoch ist, dass die Aktivitäten der Schulen und der Betriebe nun über eine kommunale Einrichtung gesteuert werden sollen. Diese soll den Austausch aller beteiligten Akteure fördern und als Vermittler auftreten. Dieses Konzept, das im Siegerland zurzeit aufgebaut wird, soll bis spätestens Ende 2019 NRW-weit Realität sein.

Stärker an Wirtschaft anpassen?
Kraft zeigt sich überzeugt, dass diese Maßnahmen den künftigen Nachwuchskräften helfen werden, die richtige Berufswahl zu treffen und eine jeweils passende Ausbildungsstelle zu finden. Den intensiveren Dialog zwischen der Wirtschaft und den Schulen sieht die SPD-Politikerin als Erfolgsformel, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Auf Anfrage der WAZ Mediengruppe äußerte sich Kraft außerdem zu ihrer Einschätzung, ob sich das Schulsystem – insbesondere die allgemeinbildenden Schulen – stärker an die Erfordernisse der Wirtschaft anpassen müsste. Kraft wollte dies nicht bejahen. Dies sei ihr zu pauschal, antwortete die Ministerpräsidentin. Allerdings seien „soft skills“ wie Benehmen und Disziplin unablässig für das Berufsleben, hier seien auch die Schulen gegenüber den Betrieben in der Bringschuld.

Westfalenpost, Westfälische Rundschau