Tanja Wagener: „Es gibt noch zu viel Unkenntnis“

Im Ambulanten Zentrum Albertus Magnus diskutierten (v.l.n.r.) Dirk Wiese (MdB), Dr. Regina Mansfeld-Nies, Erwin Kress, Tanja Wagener (MdL), Prof. Dr. Winfried Gassmann, Christiane Greb, Pfr. Tadeusz Senkowski und Iris Dittmann über das Thema Sterbehilfe.

Siegen. Tanja Wagener (SPD-MdL) konnte jetzt zu einer Gesprächsrunde im Ambulanten Zentrum Albertus Magnus zum Thema „Mein Wille geschehe?! – Sterbehilfe in der Diskussi-on“ rund 70 interessierte Gäste begrüßen, die ihrer Einladung gefolgt waren. Das Podium war mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Dirk Wiese, der Siegener Palliativmedizinerin Dr. Regina Mansfeld-Nies, Iris Dittmann von der Ambulanten ökumenischen Hospizhilfe Siegen, dem Onkologen Professor Dr. Winfried Gassmann (St. Marien-Krankenhaus), Pflege-dienstleiterin Christiane Greb (DRK-Alten- und Pflegeheim Neunkirchen-Salchendorf), Kran-kenhauspfarrer Tadeusz Senkowski und Erwin Kress, dem Präsidenten des Humanistischen Verbands Deutschland (HVD) in NRW, besetzt.

Zu Beginn der Veranstaltung gab Dirk Wiese, Jurist und Mitglied im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, einen Überblick über die verschiedenen Vorschläge für eine rechtli-che Neuregelung der Sterbehilfe, die auf Bundesebene zurzeit diskutiert werden. Dirk Wiese erklärte: „Der Bundestag wird Anfang 2016 entscheiden, ob es neue gesetzliche Regelungen geben wird und wie diese aussehen werden. Es handelt sich um eine Gewissensentschei-dung, es wird keinen Fraktionszwang geben“, so der Bundestagsabgeordnete.

„Deutschland diskutiert über die Sterbehilfe, aber wie oft begegnet den Praktikern der Wunsch auf Sterbehilfe in ihrem beruflichen Alltag tatsächlich?“, mit dieser Frage eröffnete Tanja Wagener die von ihr moderierte Podiumsdiskussion. Iris Dittmann, Koordinatorin der Ambulanten ökumenischen Hospizhilfe, und Pflegedienstleiterin Christiane Greb berichteten, es käme in ihrer beruflichen Praxis sehr selten vor, dass unheilbar kranke Menschen den Wunsch äußerten, sterben zu wollen. „Die Menschen wollen leben, ohne Schmerzen“. Die Experten führten den selten geäußerten Wunsch auf Sterbehilfe auf das in der hiesigen Re-gion schon „sehr gute palliativmedizinische Angebot“ zurück. Professor Gassmann räumte jedoch ein, die Palliativmedizin könne zwar keine völlige Schmerzfreiheit gewährleisten, die Schmerzen jedoch so eindämmen, dass sie für den betroffenen Patienten in der Regel tole-rabel bleiben.

Alle Podiumsgäste waren sich einig, dass es einer optimalen palliativmedizinischen Versor-gung und Hospizkultur bedarf. „Nur unter dieser Voraussetzung hat ein unheilbar erkrankter Mensch tatsächlich Entscheidungsspielräume“, betonte Dr. Regina Mansfeld-Nies, Begrün-derin des Palliativnetzwerks Siegen-Wittgenstein. Leider sei die palliativmedizinische Ver-sorgung bei weitem nicht in allen Teilen Deutschlands so gut und umfassend wie in unserer Region.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat hierzu jüngst den Entwurf eines Pal-liativ- und Hospizgesetzes vorgelegt. „Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, war die einhellige Meinung der Expertenrunde dazu. So forderte Pfarrer Senkowski die Übernahme der kompletten Kosten der Unterbringung in einem Hospiz durch die Krankenkassen.

Einigkeit herrschte bei der Frage nach der „Tötung auf Verlangen“: Sie soll auch weiterhin strafbar sein, so wie es § 216 des Strafgesetzbuches es derzeit regelt.

Mit Blick auf die letztlich begrenzten Möglichkeiten der Palliativmedizin warnte Erwin Kress, HVD-Präsident in Nordrhein-Westfalen, davor, die nach heutigem Recht und der aktuellen Rechtsprechung straffreie Beihilfe zum Suizid künftig zu kriminalisieren, wie das der CDU-Bundestagsabgeordnete Sensburg aus dem Hochsauerlandkreis fordert. Der Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Menschen gebiete vielmehr, dass der assistierte Suizid – insbesondere für Angehörige und behandelnde Ärzte, die dem sterbenden Men-schen nahestehen – straffrei bleibe.

Kritisch diskutiert wurden Sterbehilfevereine, wie es sie auch in Deutschland gibt. Wegen deren Professionalität sprach sich Kress grundsätzlich gegen ein Verbot für Sterbehilfeverei-ne aus. Eine Gewinnorientierung solcher Vereine lehnten alle Diskutanten ab.

Nach Beendigung der interessanten Diskussion, an der sich auch das Publikum beteiligen konnte, zog Tanja Wagener (MdL) das folgende Fazit: „Es ist noch zu wenig bekannt, welche Möglichkeiten die Palliativmedizin und Hospize bieten. Die oberinstanzlichen Gerichte haben zudem in der Vergangenheit die Frage, welche Hilfestellungen für todkranke Menschen mög-lich sind, ohne dass sich Angehörige oder Ärzte strafbar machen, ganz gut ausbalanciert. Auch dies ist noch zu wenig bekannt. Wichtig ist es, über dieses Thema, das jeden betreffen kann, sachlich und besonnen zu informieren, so wie es in dieser Veranstaltung geschehen ist.“