SPD Siegen-Wittgenstein vor Ort:
„Die SPD steht für ein solidarisches Miteinander, das gehört zu unserem Selbstverständnis. Es ist unser Anspruch, solche großartigen Projekte nicht nur ideell zu unterstützen, sondern Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie auch breiter ausgerollt und sich über Stadtgrenzen hinaus entwickeln können“, sagt Nicole Reschke, Vorsitzende des SPD-Unterbezirks über den „Ist-etwa-alles-Umsonstladen“ in Siegen. Dieses Projekt fördert ein solidarisches, respektvolles Miteinander.
Vorsitzende Nicole Reschke und Beisitzer Mohammad Eibo haben sich mit Aktionsforscher Philip Engelbutzeder getroffen, der das Projekt Umsonstladen Siegen ins Leben gerufen hat. In der alten Hammerhütter Schule, Koblenzer Straße 90 in Siegen, öffnen sich jeden Mittwoch von 10 bis 18 Uhr die Türen.
Wie kam die Idee zum Umsonst-Laden?
Philip Engelbutzeder: Die Idee des Umsonstladens ist nicht neu. Für mich ist das Konzept des Umsonstladens bereits seit über acht Jahren ein Bestandteil meiner Aktionen als Aktivist für das Teilen von Lebensmitteln und Dingen. Dabei diente der Umsonstladen zunächst immer als Raum, in den Menschen tatsächlich Dinge ‚bedingungslos‘ bringen oder nehmen konnten. Der ‚Ist-etwa-alles-Umsonstladen‘ ist in Siegen als eine Kunstaktion gestartet, die nicht länger als vier Stunden auf einer Vernissage vorgestellt wurde. Vor dem Besuch wartete eine Kunst-Performance. Ich präsentierte ein bis zum Rand volles Glas Wasser und sagte: „Das repräsentiert Fülle, es ist voll, genau genug, oder suffizient, wie der Experte sagen würde.“ Anschließend kippte ich Wasser auf das volle Glas und sagte: „Das ist Überfluss. Und nun viel Spaß im ‚Ist-etwa-alles-Umsonstladen‘. Diese Kunstaktion wollte ich bewusst alleine aufbauen. 1 Woche habe ich den 30 qm Raum eingerichtet. Mein Ziel war es nicht einen regelmäßigen Umsonstladen in Siegen aufzubauen. Allerdings zeigten sich so viele Menschen interessiert, fingen an Ideen einzubringen und mitzugestalten, so dass der Umsonstladen weiter gewachsten ist – im Sinne einer Sozialen Plastik.
Wie genau sieht das Konzept aus?
Philip Engelbutzeder: Im ‚Ist-etwa-alles-Umsonstladen‘ finden Besucher verschiedene Dinge, die Freiwillige auf dem Schulhof und bald auch in dem dann fertigen Raum im KulturIntegrationsQuatier aufstellen. Die Dinge haben Menschen dort hingebracht, weil sie diese nicht mehr brauchen und weitergeben bzw. nicht wegschmeißen oder teilen möchten. Alles ist dabei kostenlos. Ob es aber umsonst ist, das wird das Zusammenwirken, das Zusammenleben in lokaler Gemeinschaft zeigen.
Der ‚Ist etwa alles Umsonstladen‘ ist ein Kunstprojekt im Zeichen der ‚Sozialen Plastik‘. Im Gedenken an Joseph Beuys‘ 100. Geburtstag. Für Joseph Beuys war besonders wichtig, dass jeder
Mensch ein Künstler ist. Alle Menschen formen an der Gesellschaft. Beuys war es wichtig, dass der Mensch seine mitgestalterische Natur erkennt und sich dann auch beteiligt, das Gemeinwesen gerichtet an Bedürfnissen und Fähigkeiten zu formen. Zurzeit erleben wir allerdings eine Gesellschaft, in der Verantwortlichkeiten unklar sind: ‚Eigentlich sollte..‘; ‚Man sollte..‘; ‚Die Leute sollten doch mal…‘. Deshalb ist es wichtig das Menschen sich als Gestalter ihrer unmittelbaren Lebenswirklichkeit erleben können.
Indem wir den Dingen ihren Preis nehmen, entsteht ein neuer Erfahrungsraum für Wertschätzung. Der Toaster ist nicht mehr einfach nur 5 Euro wert. Das wirkt auf viele Besucher irritierend. Denn sie sind einen Äquivalenztausch gewöhnt. Quid pro quo. Tit for tat. Das eine für das andere. Allerdings ist die Wertschätzung der Dinge komplex und kann nicht einfach aufgerechnet werden. Auch wenn wir das Tag täglich zum Beispiel an der Brötchentheke so erleben. Wertschätzung beinhaltet neben ökonomischen Kostenfaktoren insbesondere auch die Kommunikation über Bedürfnisse: Wer braucht was – und wie können wir Versorgung in Gemeinschaft realisieren unabhängig von einer Stigmatisierung als ‚Bedürftiger Mensch‘ – denn tatsächlich sind alle Menschen bedürftig.
Wer hierher kommt, erlebt aber auch Austausch, die Menschen kommen ins Gespräch…
Philip Engelbutzeder: Wir wollen dazu einladen, dass über die Dinge Kontakte initiiert, Beziehungen gestärkt und lokale solidarische Gemeinschaften in ihrer Entstehung unterstützt werden. Wenn uns dies gelingt, dann waren die Dinge zwar kostenlos, aber nicht umsonst. Alle können sich einbringen. Dafür bietet der Ort als KulturIntegrationsQuatier viele verschiedene Möglichkeiten, wie den Anbau von Hochbeeten, das gemeinsame Kochen in einer Gemeinschaftsküche, Spiele auf dem Schulhof, einen Kreativraum zum Basteln, Nähen, usw.
Was soll der Umsonst-Laden bewirken?
Philip Engelbutzeder: Der Umsonstladen trägt zu einem gemeinsamen Verständnis vom Teilen der Dinge bei. Dabei erleben wir die alltäglichen Dramen von Mangel und Überfluss, Neid und Gier – aber auch Freude und Freunde, Spaß und Sinn. Der Umsonstladen ist also auch eine Bühne, auf der wir zusammen lernen, wie das Teilen von Dingen gelingt.
Über die Kunstaktion hinaus ist der Umsonstladen in dem Projektverbund ‚ReSi’s MitWelt‘ mit diesen Organisationen verbunden:
- Bezirksverband der Siegerländer Frauenhilfen e.V.
- Heimat- und Verschönerungsverein Siegen-Achenbach e.V.
- Gemeinützige Qualifizierungs- und Weiterbildungsgesellschaft des HV Achenbach gGmbH KulturIntegrationsQuartier (KIQ) der Stadt Siegen Lebensmittel-Teilen e.V.
- Atelier Wohlstandsmüll
- Ist-etwa-alles-Umsonstladen
- Siegen isst bunt
- Universität Siegen, Professoren: Niko Peach, Volker Wulf (Prorektor Regionales und Digitales), Petra Vogel (Prorektorin Internationales und Lebenslanges Lernen), Ulrike Buchmann, Sabine Meier, Marc Hassenzahl (Dekan Fakultät 3) Universität Siegen, Mitarbeiter: Franka Schäfer, Philip Engelbutzeder
Was schafft das Netzwerk?
Philip Engelbutzeder: Hierdurch sind wir mit fünf Sozialkaufhäusern und dem Kleiderladen der Siegerländer Frauenhilfe in Kooperation, um die Verteilung von Dingen in Siegen besser zu koordinieren. Außerdem streben wir das Reparieren, Produzieren und Bilden an, um Versorgung in lokaler Gemeinschaft zu gewährleisten. Was beispielsweise nicht mehr im Umsonstladen weiter verteilt werden kann, weil es dreckig oder kaputt ist, kommt ins Atelier Wohlstandsmüll, um hier über kreative Mittel wieder etwas Sinnvolles zu schaffen. Gemeinsames Ziel ist es, regionale Versorgung mit den Dingen des alltäglichen Bedarfs für alle zu verwirklichen.
ReSi’s MitWelt begegnet den drängenden Fragen der Nachhaltigkeit auf sozialer, ökologischer und ökonomischer Ebene. Durch die Förderung einer regionalen Kultur der Wertschätzung und Unterstützung werden die Beziehungen von Menschen untereinander (Freundschaften, Gemeinschaft), die Beziehungen von Menschen zu den Dingen (Reparieren, Teilen, Produzieren) sowie Mensch und Natur (Gemeinschaftgärten, Waldpflege) gefördert. Hierdurch wird eine regionale Versorgung angestrebt, sodass Verschwendung auf der einen und Mangel auf der anderen Seite (Versorgungsdefizite und -konflikte) einer „regionalen Fülle“ weichen können (Versorgungstransformation).